Gamification

Buzzword, Zukunftsmusik oder schon heute gelebte Realität?

games.nrw sprach mit Stefanie Waschk, Expertin in Sachen Gamification, über den aktuellen Stand in Deutschland, das Potenzial von Gamification und ihre Zukunftsprognose.

Stefanie Waschk

Aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit in der Spieleentwicklung besitzt Stefanie Waschk einen guten Draht zur Branche und viel praktische Erfahrung. In jüngster Vergangenheit war sie im Rahmen von Engage.NRW als Vermittlerin zwischen der Gaming-Branche und der Industrie tätig und konnte hier viele interessante Projekte realisieren und begleiten. Als Consultant unterstützt sie Unternehmen dabei, Knowhow der Spielebranche profitabel in deren Business einzusetzen, um Produkte, Software oder Prozesse zu optimieren. Darüber hinaus ist Stefanie Waschk aktuell als Head Of Enterprise Gaming für die Centigrade GmbH tätig.

Was für sie das Thema Gamification ausmacht, warum dieses Thema so aktuell ist und wie Deutschland im internationalen Vergleich abschneidet, lest Ihr in folgendem Interview.

Gamification ist aktuell ein sehr viel genutzter Begriff.
Was ist das Besondere an Gamification?

Durch technologische Errungenschaften und das Streben nach Umsatz- und Effizienzsteigerung treten der Mensch und seine Bedürfnisse teils stark in den Hintergrund, obwohl er in diesem System weiterhin eine tragende Rolle einnimmt. Das Besondere an Gamification ist, dass die Methoden und Elemente in alltägliche Arbeitsprozesse integriert werden, sodass Arbeit und spielerisch generierte Motivation miteinander verschmelzen. Gamification unterstützt dabei, unternehmerischen Ziele zu erreichen, dabei aber den Menschen, seine Bedürfnisse und vor allem seine Selbstbestimmung wieder in den Mittelpunkt zu stellen.

Gamification & Serious Games werden bereits in unterschiedlichen Branchen eingesetzt: vom Maschinen- und Anlagenbau, Automation oder IKT über das Finanzwesen, Automotive oder das Immobilien- & Bauwesen bis hin zur Gesundheitswirtschaft und Medizintechnik. Auch im Non-Profit-Bereich gibt es unterschiedlichste Lösungen für Museen, Stiftungen oder humanitäre Zwecke. Es wird eingesetzt, um neue Zielgruppen zu erschließen (vom Teenager bis zum Senioren) oder das Recruiting zu unterstützen. Mitarbeiter werden motiviert und dabei das Employer Branding und die Mitarbeiterloyalität erhöht. Schulungen schaffen Awareness oder visualisieren komplexe, erklärungsbedürftige Produkte, Sachverhalte oder Prozesse.

Was ist der Unterschied zwischen Gamification, Serious Games und “normalen” Games?

Gamification wird im alltäglichen Sprachgebrauch häufig als Oberbegriff für Gamification und Serious Games genutzt. Beides bedient sich der “Game Thinking” Methodik. Game Thinking heißt, Mehrwerte zu generieren durch die Integration von spielerischen und motivationsfördernden Elementen in Software, Produkte oder Prozesse.

“Serious Games” sind Spiele, die nicht nur dem Entertainment dienen, sondern zusätzlich z.B. Wissen vermitteln oder andere Echtwelt-Probleme spielerisch lösen. Der Nutzer lernt kontextbasiert und “by doing”, so dass das Wissen nachhaltig abrufbar ist und dadurch auch in der Realität schneller und besser eingesetzt werden kann. Spielt der Nutzer ein Serious Game, so befindet er sich nicht im normalen Arbeitsalltag. Schnittstellen zur Realität gibt es aber durchaus häufig, indem z.B. Echtweltdaten in Simulationen zur Schulung genutzt werden oder umgekehrt Erkenntnisse aus dem Serious Game in der Realität ausgewertet oder anders nutzbar gemacht werden.

Der größte Unterschied zwischen Gamification und Entertainment Games liegt darin, dass Gamification kein Spiel, sondern eher ein “Werkzeug-Baukasten” ist. Hier wird oft auf bestehende Produkte, Maschinen, Software oder Prozesse aufgesetzt oder daran angedockt. Bei Gamification werden gezielt Spieldesign-Elemente und -Methoden im Nicht-Spiele-Kontext angewendet, z.B. in der industriellen Fertigung. So kann beispielsweise die Maschinenauslastung erhöht werden – ein Wunsch, der ohne Gamification häufig zulasten des Menschen geht – mit Gamification aber in einer motivierenden, selbstbestimmt und intuitiv bedienbaren Lösung mündet. Eine Win-Win Situation für beide Seiten.

Der Gestaltungsspielraum von Game Thinking reicht von offensichtlich spielerischen Anwendungen bis hin zum sehr subtilen Einsatz von Spielelementen, die beim Nutzer nicht zwingend als spielerisch wahrgenommen werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Steuerung autonomer Fahrzeuge in der industriellen Fertigung bei SEW – basierend auf der Steuerung von Echtzeitstrategiespielen.

Ist Gamification ein Teil der Games-Branche oder kommt dieser Einfluss von außerhalb?

Thorsten Dirks, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Telefónica Deutschland, sagte einmal: “Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.”
Gamification richtig angewendet bedient sich Erkenntnissen, Konzepten und Methoden aus den Bereichen der Hirnforschung, der Verhaltens- und Motivationspsychologie, dem User Interface Design sowie dem Game Design. Diese Erkenntnisse aus Wirtschaft und Wissenschaft richtig eingesetzt, machen Game Thinking zu einem mächtigen Werkzeug. Dabei geht es darum, kognitiv leicht verständliche, intuitiv bedien- bzw. nutzbare und intrinsisch motivierende Lösungen zu schaffen.

Gamification hat zwar verschiedene fachliche Wurzeln, aber die Spielebranche hat diese unterschiedlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammengeführt. Ein Spiel wird nur dann ein wirtschaftlicher Erfolg, wenn es den Spieler fesselt und eine optimale Mischung findet zwischen Herausforderung und Erfolgserleben. Es wundert wenig, dass diese Anforderungen gerade in der Spielebranche optimiert wurden, denn ein “normales” Game wird in der Freizeit aus Entertainment-Gründen gespielt. Erfüllt es diese Kriterien nicht, landet es in der Ecke. Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, mussten Spiele-Entwickler ihre Games immer schon dahingehend optimieren und zudem auch immer schon Design und Engineering aufs Äußerste zu einer Symbiose zusammenführen.

Die Frage lag somit nahe, ob diese Erkenntnisse nicht auch im Business-Kontext nutzbar seien. Und so hielt das Know-how der Gaming-Industrie Einzug in andere Branche.

Wie relevant ist das Thema hier in NRW? Wo steht NRW im internationalen Vergleich?

Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland leider hinterher. In vielen Ländern gehört der Einsatz von Gamification zu gelebter Praxis und die Gaming-Industrie stellt einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. In Deutschland gibt es auf der einen Seite schon viele Unternehmen, die sich der Potenziale von Gamification bewusst sind und diese gezielt einsetzen und davon profitieren. Andere halten Gamification noch immer für einen Trend oder ein Buzzword. Damit lassen sie diese Möglichkeiten ungenutzt und werden von anderen Unternehmen überholt.

Der im Juni vorgestellte Entwurf des Bundeshaushalts für das Jahr 2020 enthielt keine Mittel zur Förderung der Spielebranche. Für 2019 wurden erstmals 50 Millionen Euro bereitgestellt und natürlich hat die Branche gehofft, dass diese Förderung fortgeführt wird. Damit ist die Förderung für 2020 zwar noch nicht vom Tisch, aber man kann es als ein besorgniserregendes politisches Zeichen und einen Schritt zurück bewerten.

NRW ist schon lange aktiv in Bereich der Games-Förderung. Hier ziehen der Ministerpräsident, die Staatskanzlei und das Wirtschaftsministerium an einem Strang. Zum Beispiel: Spieleentwickler werden bereits seit vielen Jahren durch das Förderprogramm “Games / interaktive Inhalte” bei der Film- & Medienstiftung unterstützt. Im Rahmen der Leitmarktwettbewerbe des Landes NRW wurden unter anderem im Wettbewerb CreateMedia.NRW Projekte gefördert, die Gaming-Knowhow auch für anderen Branchen nutzbar machten. Mit der Initiative Engage.NRW wurden Industrie- und Dienstleistungsunternehmen im Bereich Gamification beraten. In der Rolle eines neutralen Beraters und Mittlers zählten Machbarkeitsanalysen ebenso zum Angebot wie das Matching mit professionellen Entwickler-Teams und im Bedarfsfall die Begleitung der Projektumsetzung. NRW ist ein Ballungszentrum mit vielen Industrie- & Dienstleistungsunternehmen, Entwicklern und Hochschulen. Die Anzahl der Entwickler und Startups in dem Bereich sind stetig steigend. Auch wenn diverse Technologien das Arbeiten auf weite Entfernung ermöglichen, sorgen lokale Meetups, Summits & Konferenzen dafür, dass sich verschiedene Player schneller treffen und Ideen “spinnen können”. Einen Beitrag wird sicher auch das geplante Games Kompetenzzentrum NRW leisten, das dieses Ökosystem nutzen und unterstützen wird.

Wohin wird sich das Thema Gamification in Zukunft entwickeln?

Der Markt der Gamification-Anbieter hat sich in den letzten Jahren immer weiter bereinigt – eine Entwicklung, die ich begrüße, denn Gamification-Projekte sind keine Bauchgefühl- Projekte! Erfolg haben vor allem die Anbieter, die für jeden Unternehmenskontext individualisierte Lösungen entwickeln. Vorab definierte KPI ermöglichen es, den Erfolg zu messen. Was heute in Deutschland für viele Unternehmen noch neu ist, wird zukünftig nicht mehr wegzudenken sein.

In Unternehmen haben Mitarbeiter und Management früher einfach akzeptiert, dass Software “eben wehtut” und Arbeit “nun einmal keine Spaßveranstaltung” ist. Die Förderung des Employer Brandings und der Mitarbeitertreue zählen aktuell zu einer der dringendsten Herausforderungen für Personalverantwortliche in deutschen Unternehmen. Viele Studien belegen, dass die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter trotz gesteigerter Work-Life-Balance lediglich eine geringe oder gar keine Bindung zum derzeitigen Arbeitgeber hat. Die Begriffe “Innovation” und “New Work” werden oft wie Feigenblätter vor sich hergetragen. Der Kicker im Pausenraum, Homeoffice, legere Kleidung oder das lockere “Du” können keine grundlegenden Probleme lösen. Gamification hingegen setzt da viel tiefer an. Ob es in Zukunft noch unter dem Begriff “Gamification” läuft, bleibt abzuwarten. Ich bin mir aber sicher, dass der Game Thinking Ansatz zukünftig so weit in die Unternehmens-DNA aufgenommen wird, dass es weitgehend überall einen Standard darstellt.

Nicht zu vergessen wäre da natürlich noch die Tatsache, dass die Games-Branche ein großer Technologietreiber ist. Gaming-Technologie wird in einer immer stärker digitalisierten Arbeitswelt und Gesellschaft, sicher auch weiter eine herausragende Rolle spielen. Und eins soll nicht vergessen werden: Das Durchschnittsalter eines Gamers liegt 2018 bei 36 Jahren. Digitale Spiele werden häufiger von Menschen über 50 Jahren als von Menschen zwischen 20-30 Jahren genutzt. Neben dem großen Nutzen für andere Branchen kann die Gaming-Industrie also eins immer noch fantastisch: Entertainen!

(games.nrw)